von Dr. Jörg v. Steinaecker

Mehrere Jahre ist es nun her, dass BERESA den ersten e-Shop eines Händlers für Fahrzeuge eröffnet hat und viele Kollegen haben sich seitdem ebenfalls auf diese Reise begeben.  Wenn wir aber über Zahlen sprechen, dann laufen nur maximal zwischen 5% und 15% aller verkauften Fahrzeuge über diesen Absatzkanal.   Zufriedenheit darüber fühlt sich irgendwie anders an.  Hat die Welt also endlich die erste Warengruppe gefunden, die nicht e-Shop-fähig ist?  Ist damit bewiesen, dass Menschen ein Auto nie woanders als bei einem Menschen kaufen werden? Und ist es daher Zeit den Abgesang auf den Fahrzeug-e-Shop einzuleiten?  Fasst man bei diesen Fragen in unserer Branche nach, dann hört man bei allen relevanten Akteuren ein entschiedenes „Nein“ und das aus gutem Grund.

Was ist eigentlich ein Fahrzeug-e-Shop?

Die Ursachen dafür, dass sich die verkauften Stückzahlen noch auf homöopathischem Niveau bewegen, sind vielfältig und beginnen mit der Frage, was überhaupt ein e-Shop ist?  Bereits hier gehen die Lösungsansätze weit auseinander, was die Ableitung von allgemeingültigen Schlussfolgerungen schwierig macht.  Einige Händler belassen es bei einem „jetzt reservieren“-Button und klären alle Details mit dem Kunden wie gehabt im Autohaus.  Für andere ist es nur dann ein e-Shop, wenn der Kunde nie im Autohaus war, also auch die Lieferung nach Hause ein zwingender Bestandteil der Kauferfahrung ist.  Da alle Varianten aktuell in der Praxis vorzufinden sind, ist der Anteil der über „reinrassige“ e-Shops verkaufte Fahrzeuge wahrscheinlich noch geringer als die genannten Zahlen.  Das lässt vermuten, dass ein Grund für dieses Problem genau in diesen klassischen e-Shop-Konzepten liegt.

Wie muss ein e-Commerce-Prozess für Fahrzeuge aussehen?

Jeder, der einen Fahrzeug-e-Shop aus der Taufe heben wollte, wurde (und wird immer noch) dahingehend beraten, dem Kunden den klassischen e-Commerce-Prozess anzubieten:  erst das Fahrzeugangebot, dann der Warenkorb, gefolgt vom Check-Out mit Lieferart und Bezahlung sowie abschließend die Statusupdates und die Zufriedenheitsbefragung.  Das sei gelerntes Kundenverhalten und was bei Amazon & Co. so gut funktioniert, könne für Fahrzeuge ja nicht falsch sein.  Könnte man meinen.  Genau hier ist es aber Zeit, aus den gemachen Erfahrungen zu lernen und umzudenken, denn langsam sollte klar sein, dass Autokunden nicht so linear ticken, wie es dieser Prozess vorschreibt.  Es beginnt damit, dass zwischen der Bedarfsweckung für ein neues Auto und seinem tatsächlichen Kauf eine Vielzahl von relevanten und im Vergleich zu anderen Branchen und Produkten oft einzigartigen Kundenfragen beantwortet werden müssen.  Erschwerend kommt hinzu, dass die Kunden diese nicht alle in der gleichen Art und Weise sowie Reihenfolge beantwortet haben wollen.  Beispiele für diese Fragen beginnen bereits bei der Art der Kfz-Suche (nach Kriterien, Budget, kuratiert etc.) und erstrecken sich über eine Merkliste mit Vergleich, die Probefahrt, Möglichkeiten der Finanzierung/Leasing/Kauf/Miete/Abo, die Inzahlungnahme, passendes Zubehör, die technische Erklärungsbedürftigkeit (die durch e-Mobilität mit all seinen Begleitthemen eher noch zugenommen hat) bis hin zur immer wieder diskutierten Fragestellung was der Kunde davon online und was er bzw. sie davon offline, also im Autohaus, geklärt haben möchte.  Für E-Fahrzeuge kommen noch Wallboxen, eigene Stromerzeugung, Ladekarte, THG-Quote, Fördermittel etc. hinzu.

MessInTheMiddle

Google spricht hier vom „Durcheinander in der Mitte“ („Mess in the Middle“, Google-Vortrag auf Automotive Business Days am 18.6.24) und diesem laufen die klassischen, linearen e-Commerce-Prozesse zu wider.  Wenn e-Shops für Fahrzeuge also noch nicht die gewünschten Stückzahlen liefern, so liegt ein Grund darin, dass wir noch nicht den richtigen e-Commerce-Prozess für Fahrzeuge gefunden haben.  Der klassische e-Commerce-Ansatz, den Kunden in einen Konvertierungstunnel zu schicken, in dem jede Station statisch, linear und hintereinander (durch z.B.  genau einen Call-To-Action pro Schritt) abgearbeitet wird, es also im Extremfall keine Abzweigungen und Varianten gibt, und an dessen Ende immer nur der Kaufvertrag steht, erscheint hierfür zu eng.

Wie der perfekte e-Commerce-Prozess für Fahrzeuge genau aussieht ist aber aktuell nicht bekannt, er wird aber sicherstellen müssen, dass der Kunde wählen kann, welche Schritte der Customer-Journey er bzw. sie in welcher Art und Weise, in welcher Reihenfolge online und/oder offline durchführen möchte.  Um diese Anforderung bedienen zu können, muss der Kaufprozess flexibler werden, wofür sich folgende Lösungsansätze anbieten:

Direkteinstiege in die verschiedenen Stationen der Customer-Journey

Bieten Sie in Ihrem Fahrzeug-e-Shop ein Haupt- oder Contextmenü auf Ihrer Webseite für Direkteinstiege in wichtige Stationen der Customer Journey an, z.B. mit dem Titel „Shopping-Tools“.  Hier findet der Kunde z.B. die Einträge Merkliste, Neuwagen konfigurieren, Meinen Gebrauchten bewerten, Finanzierung/Leasing berechnen, passendes Zubehör, Probefahrt vereinbaren etc.  Damit kann der Kunde selber entscheiden, welchen Weg er bzw. sie gehen möchte und findet schnell Antworten auf die Fragen, die ihn gerade bewegen, ohne sich langwierig durch vorgelagerte, für ihn unwichtige Schritte im Konvertierungstunnel kämpfen zu müssen.

Jede Customer-Journey-Station kann online, offline oder gemischt durchlaufen werden

Bei jeder Station in der Customer-Journey muss der Kunde entscheiden können, ob er sie online oder bei Ihnen im Autohaus durchführen möchte.  Das bedeutet z.B., dass neben dem Leasingkalkulator auf Ihrer Webseite eine Einladung zu einem persönlichen Termin steht, vielleicht sogar zusammen mit dem liebevollen Hinweis „Unsicher?  Vereinbaren Sie einen Termin und wir erledigen das zusammen!“.  Wichtig ist, dass bei der dann durchgeführten Terminanfrage alle vom Kunden bislang entlang seiner Customer-Journey eingegebenen Daten an das Autohaus übermittelt werden, damit dort nicht bei Null begonnen werden muss.  Dies schließt letztlich auch die Mischform ein, wo der Kunde bestimmte Aufgaben der Customer-Journey-Station online erledigen kann (z.B. die Dateneingabe, das Scannen von Unterlagen etc.) und den Rest dann im Autohaus durchführt.

Autoerwerb um Mobilitätspakete ergänzen

Die hohen Preise eines Fahrzeugs sind für einen Online-Shop sicherlich nicht förderlich, denn das Angebot, eine Premiummarke für 85.000€ über einen e-Shop anzunehmen, fällt einem Kunden mit Sicherheit weniger leicht als z.B. ein Buch für 12,90€ zu kaufen.  Daher ist es auch aus diesem Grund zwingend erforderlich, neben dem Erwerb eines Fahrzeuges zu hohen Geldbeträgen immer ein Finanzierungs-/Leasingangebot im e-Shop zu platzieren.  Da aber auch diese Erwerbsformen lange Vertragslaufzeiten mit dann wieder in Summe hohen Geldbeträgen mit sich bringen, sollte man zusätzlich die Optionen Miete bzw. Abo/Subscription anbieten.  Mit diesen, z.T. monatlich, kündbaren Nutzungsentgelten fällt der Klick auf „jetzt verbindlich kaufen“ leichter.  Zusätzlich kann dies zu einem späteren „echten“ Erwerb des Fahrzeuges führen, womit Ihr e-Shop eine weitere, kundenindividuelle Schleife durch den Kaufprozess anbietet, indem die Anmietung quasi zu einer bezahlten Probefahrt wird.

Tracken und leiten Sie den Kunden in Ihrer digitalen Welt, ohne ihn in Kanäle zu zwingen

Wenn Sie im Hintergrund speichern, welche Stationen der Kunde bereits durchlaufen hat und welche Daten bislang dabei eingegeben oder erzeugt wurden (z.B. mit Hilfe eines Kundenportals oder am Anfang der Customer Journey durch einfache Cookies), können Sie ihm immer wieder weitere Stationen vorschlagen, die in seiner Customer Journey noch fehlen.  Im Idealfall führen Sie ihn damit spielerisch durch Ihre Webseite, ohne dass er sich in einem klassischen und verbindlichen e-Commerce-Prozess gefangen fühlt.  Die Programmlogik Ihrer Webseite stellt dabei sicher, dass an alles für den Kaufprozess Relevante gedacht wird.

Worauf kommt es also an?

Wenn ein digitales Angebot wie ein Fahrzeug-e-Shop nicht auf zufriedenstellende Akzeptanz stößt, man aber aktuell nicht sagen kann, wie der bevorzugte Kaufprozess einer Zielgruppe genau aussieht, dann ist es nicht sinnvoll, an einem starren, linearen Prozess wie in einem klassischen e-Shop festzuhalten.  Man sollte vielmehr das „Durcheinander in der Mitte“ akzeptieren und einen Raum anbieten, in dem der Kunde entscheiden kann, welche Stationen in der Customer Journey er wie und in welcher Reihenfolge durchlaufen will.  Damit dabei nichts verloren geht, ist eine moderne Softwarearchitektur unerlässlich, die im Hintergrund insbesondere folgendes sicherstellt:

  • Von allen in Frage kommenden Customer-Journey-Schritten werden dem Kunden immer wieder mehrere Angebote mit der höchsten Akzeptanzwahrscheinlichkeit unterbreitet, wie der nächste Schritt in seiner individuellen Customer Journey aussehen kann.
  • Jeder einzelne Schritt ist in sich komplett online-fähig als auch komplett offline-fähig als auch hybrid durchführbar. Das bedeutet, dass der Kunde vor und in jedem Schritt von der Webseite ins Autohaus oder umgekehrt abzweigen kann.
  • Alle vom Kunden in den einzelnen Customer-Journey-Schritten eingegebenen oder bereits erzeugten Daten werden gespeichert, miteinander verknüpft und liegen allen Beteiligten jederzeit vor, wenn sie benötigt werden, auf der Webseite als auch im Autohaus.
  • Über Marketing-Automation-Funktionen erhält der Kunde personalisierte und je nach Fortschritt in seiner Customer-Journey unterschiedliche Botschaften, die ihn dazu ermuntern, den Kaufprozess fortzusetzen.

So können Sie es konkret umsetzen

Ein Blick in den aktuellen Softwaremarkt stimmt optimistisch, da Händler bei diesen technologischen Aufgabenstellungen bereits jetzt von diversen Anbietern von digitalen Systemen unterstützt werden.  So bieten z.B. Santander und BDK mit ihren Produkten „Lead to sale“ bzw. „ju-connect“ Multi-Channel-Lösungen für Berechnung und Abschluss von Finanzierungen an.  Anbieter von innovativen Vertriebssystemen bieten persönliche und z.B. passwortgeschützte Angebotsseiten an, in denen Kunden ein ausgewähltes Fahrzeug sukzessive um Dinge wie Finanzierung, Zubehör, Probefahrt usw. sukzessive in beliebiger Reihenfolge „angereichert“ werden kann (z.B. „Deal-Maker“ von PixelConcept; “Digitales Fahrzeugangebot” bzw. Kundenportal von two S; „Merkliste“ von Carmato etc.).  Bei der Fahrzeugbewertung (z.B. „AlphaController Remote Bewertung“ von AlphaOnline oder „Sell from home“ in Kombination mit dem „TÜV NORD SofortGutachten“ von JJ.I.MM bzw. TÜV Nord) verschwimmt die Grenze zwischen online und offline ebenso wie bei Serviceterminals (z.B. Tjekvik, wie aubex sie anbietet).  Mischformen der Kundenkommunikation werden z.B. mit der Videokommunikationslösung von fleetback unterstützt und e-Mobilio bietet Online- und Offline-Lösungen für viele Stationen beim Kauf eines Elektrofahrzeuges an.

Mit Ansätzen wie diesen können Händler die neue Customer Journey im Fahrzeugkauf zwischen online und offline entdecken und erfolgreich bedienen.   Wichtig dabei ist aber, nicht nur die einzelnen Plugins auf die Webseite zu bringen, sondern diese wie oben beschrieben auch daten- und funktionstechnisch zu integrieren.  Ansonsten bleibt der Ansatz unkoordiniertes Stückwerk.  Am Ende steht dann ein Fahrzeug-e-Shop, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr wie ein klassischer e-Shop anfühlt, aber dennoch erfolgreich konvertiert, also Kaufabschlüsse liefert.  Es wäre auch sehr unwahrscheinlich, dass die Fahrzeugbranche die einzige Branche wäre, die nicht e-Shop-fähig ist.